MOcons hat über viele Jahre Tarifmodellumstellungen bei Trinkwasserversorgern begleitet. Auf Konferenzen trat dann regelmäßig die Situation ein, dass sich Abwasserentsorger von den Diskussionen um neue Tarif- oder Gebührenmodelle als nicht betroffen sahen. Doch weit gefehlt: „Was vorne nicht reingeht, kann auch hinten nicht herauskommen.“
Vor diesem Hintergrund ist die Ausgestaltung eines Gebührenmodells mit signifikanter Anhebung der Grundgebühr - zur (anteiligen) Deckung der fixen Kosten - verbunden. Im Folgenden wird die zugrundeliegende Logik näher dargestellt. Dabei ist zu berücksichtigen, dass die Abwasserentsorgung in die Schmutz- und die Niederschlagswasserbeseitigung unterteilt werden muss, deren Kosten durch die Erhebung von Schmutzwasser- bzw. Niederschlagswassergebühren gedeckt werden. In den folgenden Ausführungen stehen die Schmutzwassergebühren im Fokus.
(Hinweis: Es empfiehlt sich, die Fragen und Antworten der Reihe nach zu lesen.)
Diese Entwicklung und ihre Folgen sind mittlerweile in der Gesellschaft weitgehend akzeptiert (s. Literatur-Angaben: Oelmann et al. [2015]). Uneinigkeit herrscht allenfalls noch in Bezug auf das Maß der Betroffenheit, dem daraus resultierenden Handlungsbedarf sowie den richtigen Lösungsansätzen.
Abwasserentsorger sind von diesem Problem in besonderer Hinsicht betroffen: Einerseits sinkt die Einwohnerzahl und damit einhergehend die strukturelle Nachfrage nach Trinkwasser. Andererseits geht aber auch der spezifische Wassergebrauch (Nachfrage pro Kopf bzw. Gewerbeeinheit) zurück – ein Problem, das ebenfalls Regionen mit Bevölkerungszuwachs betrifft. In der Konsequenz sinkt die ins Kanalnetz eingeleitete Schmutzwassermenge in erheblichem Maße und diese Tatsache stellt Abwasserentsorger vor große Herausforderungen.
Neben dem Mengenrückgang bewirkt der demographische Wandel zudem einen höheren Verschmutzungsgrad des Abwassers: Die zunehmende Einnahme von Medikamenten, insbesondere durch ältere Menschen, und deren (indirekte) Entsorgung über das Kanalsystem lässt den Ruf nach Einführung einer vierten Reinigungsstufe lauter werden. Hier könnten zusätzliche Kosten für Abwasserentsorger entstehen, die über steigende Gebühren zu refinanzieren wären.
Gleichzeitig ist jedoch der weit überwiegende Teil der Kosten eines Abwasserentsorgers fix und damit mengenunabhängig. Für einen durchschnittlichen Entsorger beträgt der Anteil der Fixkosten an den Gesamtkosten ca. 75 – 90 %. Diese Fixkosten entstehen durch die Vorhaltung der Infrastruktur, zu der im Wesentlichen das Kanalnetz und die Kläranlage zählen.
Dieses Aufeinandertreffen von einem stetig sinkenden Gebührenaufkommen und (nahezu) konstanten Gesamtkosten wird als Fixkostenfalle bezeichnet. Der Abwasserentsorger muss bei zurückgehender Nachfrage regelmäßige Gebührenerhöhungen vornehmen, um die Deckung der Kosten sicherzustellen.
Der Abwasserentsorger und die langfristig benachteiligten Nutzergruppen müssen ein vitales Interesse daran haben, die fixen Kosten der Schmutzwasserentsorgung durch einen angemessenen Anteil mengenunabhängiger Gebührenbestandteile (= Grundgebühren) zu decken. Andernfalls werden insbesondere Kundengruppen ohne Einsparmöglichkeiten langfristig überproportional zur Deckung der fixen Kosten beitragen müssen. Diejenigen Nutzer, die ihren Verbrauch senken können, werden an der Finanzierung der Infrastruktur in der Konsequenz nur unzureichend beteiligt.
Ein nachhaltiges Gebührenmodell trägt weiterhin zu einer periodengerechten Finanzierung der Infrastruktur bei und reduziert Mehr- bzw. Mindereinnahmen, die Zwischenfinanzierungen notwendig machen. Darüber hinaus vermeidet dieses Gebührenmodell soziale Verwerfungen und setzt weiterhin angemessene Anreize für einen rationalen Umgang mit der Ressource „Wasser“.
Für die Gebührenmodellumstellung gilt, dass extreme Steigerungen bei den Haushaltsbelastungen im Umstellungszeitpunkt weitest möglich zu vermeiden sind. Das gilt auch für übermäßige Belastungen von Industrie und Gewerbe. Nur so kann Akzeptanz für die Gebührenmodell-Umstellung geschaffen werden. Gleichzeitig muss das neue Gebührenmodell rechtssicher sein und den Vorgaben des jeweiligen Kommunalabgabengesetzes entsprechen.
Im Gegenzug zur Einführung bzw. Erhöhung einer Grundgebühr wird die mengenabhängige Schmutzwassergebühr erheblich gesenkt, da das notwendige Gebührenaufkommen nun zu einem großen Teil durch die Grundgebühr finanziert wird. Auf diese Weise wird sichergestellt, dass die Umstellung aufkommensneutral ist.
Auch wenn obiger Punkt für einen Moment ausgeblendet wird, ist die Niederschlagswassergebühr weniger stabil als man denken könnte. Zwar unterliegt die bebaute und versiegelte Fläche als Bemessungsgrundlage weniger starken Schwankungen als der modifizierte Frischwassermaßstab. Dennoch ist in vielen Kommunen ein Rückgang des Gebührenaufkommens aus der Niederschlagswassergebühr festzustellen. Immerhin besteht für alle Nutzer ein Anreiz dazu, ihr Niederschlagswasser durch Entsiegelung auf dem Grundstück zu versickern und damit Gebühren einzusparen. Deshalb wird analog zur Schmutzwasserentsorgung bereits über eine Grundgebühr für die Niederschlagswasserbeseitigung diskutiert. Das ist rechtlich durchaus möglich und wurde in einigen Kommunen bereits umgesetzt.
Somit stellt sich die berechtigte Frage, ob neu gebaute im Vergleich zu 30 Jahre alten Einfamilienhäusern nicht zu wenig für die Vorhalteleistung der Abwasserentsorgung bezahlen. Durch eine geringere Schmutzwassermenge neuer Einfamilienhäuser ist ihr Beitrag am Gebührenaufkommen geringer als der Beitrag älterer Einfamilienhäusern mit höherer Menge. In der Folge steigen die Kosten für die Abwasserentsorger durch Zuzug und Erschließung neuer Wohngebiete in höherem Ausmaß als das Gebührenaufkommen. Die Kostenunterdeckung muss daher zwangsläufig zu einer Gebührenerhöhung für alle Nutzer führen.
Verallgemeinernd ist erstens festzustellen, dass nicht selten ein Abwasserentsorger seine Infrastruktur deshalb ausgebaut hat, weil ein Großeinleiter entsprechende Mengen und Frachten angekündigt hat. Durch die Anreizwirkung rein variabler Gebühren fährt der Großeinleiter in der Folge seine Mengen zurück. Die konstant bleibenden und tatsächlich von dem Großeinleiter verursachten hohen Fixkosten sind nun von den übrigen Einleitern zu tragen. Themen der nachlaufenden Veranlagung, wiederkehrenden Beiträge anderer Gebührenmodelle und anderer Verträge und Aufgabenverteilungen im Vorfeld sind hier zu diskutieren.
Zweitens bieten sich für einen konkreten Einzelfall Möglichkeiten, Gebührenmodelle dazu zu nutzen, Mengen und Frachten bereits bei den Einleitern zu steuern. Eine effizientere Auslastung der Infrastruktur ist so – insbesondere wenn ein Abwasserentsorger seine Infrastruktur überdenken kann – möglich.
Eine Gebührenmodell-Umstellung ist eine sehr komplexe Angelegenheit. MOcons unterstützt und begleitet seit vielen Jahren Tarifmodell-Umstellungen für Wasser-, Fernwasser- sowie für Fernwärmeversorger unterschiedlicher Größe und zunehmend auch für Stromnetzbetreiber. In mehr als 30 Versorgungsgebieten wurde eine zielführende und ganzheitliche Herangehensweise entwickelt. Oberstes Ziel es ist, die Finanzierung der notwendigen Infrastrukturanlagen dauerhaft sicherzustellen und eine ausgewogene Lösung zu präsentieren, die den verschiedenen Anforderungen an ein Entgeltsystem Rechnung trägt.
Auf der Seite “Gebührenmodell-Umstellung“ wird erläutert, wie Sie von unserem Know-how im Rahmen Ihrer Gebührenmodell-Umstellung profitieren können. Gerne unterstützen wir Sie bei diesem Prozess! Sprechen Sie uns gerne an!
- BDEW e. V. (2013): "Leitfaden einer Abwasserentgelt- /-gebührenkalkulation", Berlin.
- DWA e. V. (2012): „T3/2012 ─ Kalkulation von Gebühren und Beiträgen in der Abwasserbeseitigung“, Abschnitt III, S. 9-30.
- Gendries, Siegfried (2012): "Das Mülheimer Tarifsystem - Einführung des Systempreises und Preiskommunikation in der Wasserwirtschaft", in: energie | wasser-praxis, No. 12, S. 58 – 61.
- Henes-Karnahl, Beate (2011): "Neue Tarifstrukturen auf dem Vormarsch", in: rathausconsult, Ausgabe Dezember, S. 18-21.
- Hoffmann, Christian et al. (2013): "Wasserentgelte - transparente Kommunikation und neue Pricing-Strategien", in: energie|wasser-praxis, No. 4, S. 80 – 83.
- Hofmann, Georg (2013): "Verbraucherverhalten bei Trinkwasserentnahmen in Wohngebäuden", in: gwf-Wasser|Abwasser, No. 07-08, S. 854-859.
- Leptien, Christoph et al.: "Wirtschaftsdaten der Abwasserbeseitigung 2014", Bad Honnef, 2014.
- Oelmann, Mark / Czichy, Christoph / Beele, Rene (2017): „Tarifmodellumstellungen in Netzsektoren ─ Ver- und Entsorger in der Wasser- und Energiewirtschaft unter Handlungsdruck“, in: Transforming Cities, 2/2017, S. 28-33.
- Oelmann, Mark / Czichy, Christoph / Jardin, Norbert (2016): „New Water Pricing Models Respond to Decreasing Demand in Germany“, in: Journal American Water Works Association AWWA, Vol. 108, No. 1, pp. 20-23.
- Oelmann, Mark / Gendries, Siegfried (2012): "Auf dem Weg zu einem neuen Tarifmodell in der deutschen Wasserversorgung - Teil 1: Anforderungen aus Sicht eines Wasserversorgers, Prozessgestaltung und Datengenerierung", in: gwf-Wasser|Abwasser, No. 07-08, S. 820-827.
- Oelmann, Mark / Rehberg, Jörg / Roemer, Ellen und Benedikt Roters (2015): "Expertenbefragung zur Umstellung von Gebührenmodellen in der Schmutzwasserentsorgung", in: gwf-Wasser|Abwasser, Vol. 156, No. 06, S. 662-669.
- Oelmann, Mark und Benedikt Roters (2015): "Tarifierung in Netzsektoren - Zielsetzungen ausgewählter Tarifmodelle in Deutschland", in: Netzwirtschaften und Recht, No. 01, S. 14-22.
- Oelmann, Mark / Roters, Benedikt / Gawel, Erik (2017): „Nachhaltige Gebührenmodell in der Abwasserentsorgung – Teil I: Konzeptionelle Grundlagen für Grundgebühren in der Schmutzwasserentsorgung“, in: KA Korrespondenz Abwasser, Abfall, 4/2017, S. 328-334.
- Oelmann, Mark / Roters, Benedikt / Hoffjan, Andreas / Hippe, Michael / Wedmann, Thomas (2017): „Investitionsstau in der Abwasserentsorgung ─ Ausgewählte Lösungsansätze aus ökonomischer und ingenieurwissenschaftlicher Perspektive“, in: KA Korrespondenz Abwasser, Abfall, 2/2017, S. 131-138.